DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOLOGISCHE SCHMERZTHERAPIE UND -FORSCHUNG E.V.

SCHMERZ IM ALTER

Chronische Schmerzen nehmen im höheren Lebensalter zu. Sie werden jedoch seltener als bei Jüngeren angemessen behandelt. Ein besonderes Problem stellt die Tatsache dar, dass ältere Personen sehr häufig nicht nur unter dem Schmerz, sondern unter einer Vielzahl anderer Symptome und Erkrankungen leiden. Die Folge ist, dass der Schmerz wegen anderer mitunter lebensbedrohlicher Erkrankungen nicht allein im Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen stehen kann und dass die Schmerzmedikamente sorgfältig mit den anderen Medikamenten abgestimmt werden müssen. Hinzu kommt ein veränderter Stoffwechsel der älteren Personen, so dass andere Therapiestrategien als bei Jüngeren eingesetzt werden müssen.

Risiken älterer Menschen

Menschen höheren Lebensalters können allerdings weder hinsichtlich ihres psychischen noch ihres körperlichen Befindens als eine einheitliche Gruppe angesehen werden. Es wird von den „jungen Alten“ (60 +), den Alten (75 +), den Hochbetagten (90 +) und den Langlebigen (100 +) gesprochen. In allen westlichen Gesellschaften stellen die über 75Jährigen den am schnellsten wachsenden Anteil der Bevölkerung dar. Viele der älteren Menschen mit Schmerzen können in gleicher Weise wie Jüngere behandelt werden. Besondere Probleme der Schmerzdiagnostik und –therapie entstehen vorwiegend dann, wenn die kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt sind (z.B. bei unterschiedlichen Stadien einer Demenz) oder wenn andere Erkrankungen und die dadurch erforderlichen Medikamente in der Therapie berücksichtigt werden müssen. Je älter die Menschen sind, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit einer kognitiven Beeinträchtigung und einer mehrfachen Medikation.

Ältere Menschen sollen ihren Schmerz benennen

Es ist bekannt, dass viele Menschen Schmerz im Alter für normal halten und daher weniger spontan als Jüngere darüber berichten. Diese Auffassung wird auch von vielen Ärzten geteilt, die sich daher nicht spontan nach dem Schmerz der Patienten erkundigen. Bei der Befragung von Patienten in allgemeinärztlichen Praxen wurden z.B. bei 15 % der Personen im Alter von 70 Jahren und darüber dem Arzt vorher nicht bekannte und nicht behandelte Schmerzen festgestellt. In Alten- und Pflegeheimen kommt es noch häufiger vor, dass Personal und Ärzte nichts vom Schmerz der Bewohner wissen. Für eine gute Schmerzbehandlung ist es daher unumgänglich, dass die Betroffenen das Personal und die Ärzte über den eigenen Schmerz aufklären.

Noch dringlicher wird dieses Problem bei geistig verwirrten oder dementen Personen, die nicht mehr in der Lage sind, den erlebten Schmerz zu benennen. Weil der Schmerz nicht erkannt wird, erhalten sie auch keine Schmerzmedikamente. Es zeigen sich allerdings Hinweise im Verhalten dieser Personen, die den Schmerz erschließen lassen. Inzwischen gibt es Anleitungen zur Beobachtung des Verhaltens, durch die der Schmerz erkannt und eine angemessene Behandlung eingeleitet werden kann.

Schmerzmedikamente sollen altersgerecht eingesetzt werden

Die veränderte Stoffwechsellage älterer Menschen erhöht das Risiko, dass bei falschem Gebrauch von Schmerzmedikamenten unerwünschte Wirkungen auftreten. Grundsätzlich können allerdings alle Medikamente, die bei jüngeren Personen in der Schmerztherapie eingesetzt werden, auch bei älteren zur Anwendung kommen. Die Weltgesundheitsorganisation unterscheidet drei Gruppen von Medikamenten, die in einem Stufenplan eingesetzt werden sollen. Der Beginn des 3-Stufenschemas sieht eine Therapie mit nicht-opioden (nicht Opium-ähnlichen), vorwiegend peripheren (am Ort der Schmerzentstehung wirkenden) Schmerzmedikamenten vor. Hierzu zählen z.B. Azetylsalizylsäure, Ibuprofen, Diclofenac und Paracetamol. Erreicht man dadurch keine zufriedenstellende Schmerzlinderung, ist zusätzlich ein schwaches im Rückenmark und Gehirn wirkendes Opium-ähnliches Schmerzmittel einzusetzen, z.B. Tramadol oder Tilidin. Wird der Schmerz auch hierdurch nicht ausreichend gelindert, sollen stark zentral wirkende Opium-ähnliche Schmerzmittel verabreicht werden, z.B. Morphin oder Oxycodon.
Bei Einsatz dieses Stufenplans müssen zwei Dinge besonders beachtet werden:

  1. Die Stufe 1-Medikamente sind nicht verschreibungspflichtig und können daher in allen Apotheken ohne ärztliche Verordnung gekauft werden. Sie können allerdings bei einem unkontrollierten Dauergebrauch zu unerwünschten Wirkungen (z.B. Magenbluten, Leber- und Nierenschädigung) führen. Personen, die diese Medikamente zur Behandlung chronischer Schmerzen nehmen, sollen regelmäßig die Magen-, Leber- und Nierenfunktion untersuchen lassen, um Schäden abzuwenden. Es wird davon abgeraten, Medikamente dauerhaft ohne ärztliche Kontrolle einzunehmen.
  2. Der Organismus des älteren Patienten muss sich an Opioide oder Opium-ähnliche Schmerzmittel der Stufe 3 erst allmählich gewöhnen. Sie sollen daher zunächst unterdosiert, d.h. in einer Dosierung gegeben werden, die den Schmerz noch nicht kontrolliert. Die Dosierung wird dann nach und nach bis zur wirksamen Menge gesteigert. Würde die Therapie mit einer Dosis begonnen, wie sie bei Jüngeren üblich ist, könnte das zu Benommenheit und zu Gleichgewichtsstörungen führen. Das schrittweise Vorgehen soll die Sturzgefahr zu Beginn der Therapie gering halten.

Schmerzmedikamente sollen durch nicht-medikamentöse Verfahren ergänzt werden

Der Schmerz kann häufig erst dann ausreichend beherrscht werden, wenn die Schmerzmedikation durch nicht-medikamentöse Therapieverfahren ergänzt wird. Besonders wichtig ist hierbei ein körperliches Training, das in Häufigkeit und Belastung der Leistungsfähigkeit angepasst werden muss. Jede Form von körperlicher Aktivität, welche die Beweglichkeit, die Kraft und die Ausdauer fördert, ist geeignet. Eine Unterstützung durch Physiotherapeuten oder Sporttherapeuten ist hilfreich. Weiterhin sollen auch psychologische Verfahren zum Einsatz kommen. Hierzu gehören z.B. Entspannungsverfahren und Hilfen zur Bewältigung des Schmerzes. Die Aufmerksamkeit soll gezielt vom Schmerz abgezogen und auf positive Erlebnisse gerichtet werden, um die Lebensqualität zu fördern.

Erfolge der Schmerztherapie sollen dokumentiert werden

Wenn die Schmerztherapie den Erfordernissen des höheren Alters angepasst wird, kann sie ähnliche Erfolge vorweisen wie bei jüngeren Personen. Die Betroffenen sollen in Kooperation mit dem Arzt ein Schmerztagebuch führen und hierin die Therapie und deren Erfolge dokumentieren.

Autor: Heinz-Dieter Basler