PLACEBOANALGESIE – FASZINATION DER KÖRPEREIGENEN SCHMERZHEMMUNG
Hinter dem Begriff Placeboanalgesie (Analgesie= kein Schmerz) verbirgt sich eine einmalige Einrichtung der Natur: die im Menschen angelegte Fähigkeit, selber etwas gegen Schmerzen zu tun. In der Forschung zur Placeboanalgesie hat man bereits wichtige Erkenntnisse darüber gewonnen, welche Mechanismen diesem Phänomen zugrunde liegen. Die aktuelle Forschung ist schon so weit, dass daraus ein Nutzen für den klinischen Alltag abgeleitet werden kann.
Was ist ein Placeboeffekt?
Der Begriff Placebo kommt ja aus dem Lateinischen und bedeutet „Ich werde gefallen“. Ein Placebo ist ein pharmakologisch betrachtet wirkstofffreies Präparat, das unter bestimmten Bedingungen eine ähnliche Wirkung entfalten kann wie die echte Arznei. Ein Placeboeffekt kann aber auch bei anderen Handlungen im medizinischen Kontext (z.B. Aufklärungsgesprächen vor Operationen) auftreten.
Für die klinische Nützlichkeit des Placeboeffektes ist ein Punkt wirklich wichtig: ein Placeboeffekt kann auch durch ein wirksames Medikament selbst ausgelöst werden. Wir wissen durch die Placeboforschung, dass sich die Wirksamkeit eines Schmerzmedikamentes immer durch zwei Komponenten zusammensetzt: Einerseits werden Beschwerden durch den pharmakologischen Wirkstoff im Medikament gelindert. Der zweite Teil der Schmerzlinderung entsteht aus der Erwartungshaltung des Patienten. Das ist dann der Placeboeffekt. Die Studien zeigen, dass diese die Wirksamkeit eines Medikaments im günstigsten Fall um fast 30% erhöhen kann. Allein weil der Patient an die Effektivität (Wirksamkeit) der Behandlung glaubt.
Die Erwartung kann Schmerzen lindern
Der Placeboeffekt ist wissenschaftlich klar messbar: Er löst eine Reihe nachweisbarer physiologischer Vorgänge im Körper aus. Im Bereich der Schmerzforschung konnten Placeboeffekte in vielen Experimenten beobachtet werden. Im Rahmen von Studien wird z.B. Schmerzpatienten ein Medikament zur Linderung ihrer Schmerzen verabreicht. Die eine Gruppe erhält Tabletten mit hochwirksamen Substanzen, bekommt darüber auch die Information, dass es ein effektives Medikament sei. Die andere Gruppe erhält dagegen eine wirkstofffreie Tablette, aber die gleiche Information und kann deswegen eine positive Erwartung aufbauen. Bei beiden Gruppen kann durch bildgebende Verfahren beobachtet werden, dass auch bei der Placebogabe ähnliche Hirnstrukturen aktiv werden und es zur Ausschüttung körpereigener (endogener) Opioide, sogenannter Endorphine, kommt. Diese spielen für die Schmerzverarbeitung eine wichtige Rolle. Das heißt: Selbst die Patienten, die keinerlei pharmakologischen Wirkstoff erhalten, empfinden eine zwar geringere, aber messbare Schmerzlinderung. Wenn diese Schmerzlinderung bedeutsam höher ist, als bei einer Gruppe von Patienten, die gar keine Schmerzbehandlung erfahren, dann spricht man von Placeboanalgesie.
Die Placeboanalgesie ist spezifisch
Wir kennen heute insgesamt zwölf körperliche Systeme und Bereiche, in denen Placeboeffekte nachgewiesen wurde. Beispiel Parkinson-Krankheit: Ihr liegt ein Mangel an Dopamin zugrunde, ein Nervenstoff, der dann durch Medikamente ausgeglichen werden muss. Die Vergabe von Placebos unter der Instruktion, dass es sich um ein Medikament zur Behandlung der Parkinson Symptome handele, konnte auch hier einen Placeboeffekt auslösen. Ähnliches beobachten wir bei Medikamenten gegen Depressionen, die etwa durch das körpereigene „Glückshormon“ Serotonin gelindert werden. Und auch bei Diabetes erhöhen Placeboreaktionen die Insulinausschüttung. Der jeweilige Placeboeffekt imitiert quasi die Wirkung „seines“ speziellen Medikamentes.
Die Rolle der Vorerfahrungen bei Placeboeffekten: Schlechte Erfahrungen mit Medikamenten
Schlechte Vorerfahrungen mit Medikamenten können den Placeboeffekt mindern. In der Tat kann ein Placeboeffekt tatsächlich unterdrückt werden durch negative Gedanken. Wir sprechen dann von der Noceboreaktion – zu Deutsch: „Ich werde schaden“. Die Wirkung, die ein Medikament eigentlich haben sollte, wird dann herabgesetzt oder Nebenwirkungen werden verstärkt. Eine an sich wirksame Therapie kann dann nicht helfen oder sogar das Gegenteil erzeugen.
Die Chance, einen Placeboeffekt aufzubauen: Selbstwirksamkeit stärken
Grundsätzlich kann man seine negativen Erwartungen durch weitere Informationen verändern. Darin liegt auch die Chance, einen Placeboeffekt aufzubauen. Und hier kommt das ins Spiel, was wir in der Forschung Selbstwirksamkeit nennen. Der Patient kann lernen, seine Haltung gegenüber einer Therapie durch eigenes Zutun zu beeinflussen. Der Ehrgeiz jedes Arztes oder jeder Ärztin und speziell ausgebildeter Schmerzpsychologen sollte darauf zielen, die Selbstwirksamkeit des Patienten zu fördern.
Wie kann das gelingen?
Einstellungen, die wir gegenüber einer Therapie haben, sind nicht nur eine Frage der Persönlichkeit. Wir erwerben sie im Laufe des Lebens auch durch Erfahrung und Beobachtung. Das beste Beispiel: Ein Patient sitzt beim Zahnarzt auf dem Behandlungsstuhl und hört aus dem Nebenzimmer die Schreie eines Patienten. Die Erwartung an die eigene Behandlung wird weniger hoffnungsvoll. Der gegenteilige Effekt tritt ein, wenn mehrfach die Erfahrung gemacht wird, dass ein bestimmtes Medikament die eigenen z.B. Kopfschmerzen wirksam lindert. Dann kann häufig sogar allein der Anblick der Tablette den Schmerz eindämmen. Denn unser Gehirn erhält durch die vertraute Form und Farbe des Präparats das Signal „Gleich wird es besser“ – und reagiert entsprechend mit der Ausschüttung von Schmerz stillenden Stoffen. Diesen Lernvorgang nennen wir Konditionierung. Ihn können Ärzte in Zusammenarbeit mit dem Patienten aktiv steuern.
Wenn es dem Schmerztherapeuten gelingt, die richtige Ansprache zu wählen, ist das schon erste Hälfte des Erfolges. Insbesondere in Krankenhäusern kommt es noch viel zu oft vor, dass Patienten Medikamente ohne weitere Erklärung in die Hand gedrückt bekommen. Stattdessen ist eine Empfehlung, die sich aus der Placeboforschung ableitet, die sogenannte „open medication“: Wenn der Arzt oder die Ärztin seinem oder ihrem Patienten erklärt, um welchen Wirkstoff es sich handelt und wo genau dieser im Körper ansetzt, kann der Betroffene sich den Vorgang verbildlichen. Er kann ihn verstehen, nachvollziehen und vertraut dadurch auf seine Wirkung. Wenn er die Tabletten dann jedes Mal bewusst einnimmt, sich die Wirkung in Erinnerung ruft, Form, Farbe und Oberfläche mit allen Sinnen wahrnimmt, kann er selbst einen Placeboeffekt in seinem Körper hervorrufen.
Lernen, die Kontrolle über das eigene schmerzhemmende System, zu gewinnen.
Besser sollte es heißen, Kontrolle über den „inneren Schmerzmanager“ zu erlangen. Dies ist auch bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen eindrücklich möglich, wie eine Untersuchung belegte. Die Patienten erlebten durch die Behandlung eine deutliche Rückenschmerzlinderung. Was sie zu dem Zeitpunkt nicht wussten: Sie hatte „nur“ eine Behandlung mit Placebo erhalten. Das „Medikament“ wurde genau erklärt in seiner Wirkweise und diese Information hat dann die entscheidende Erwartung aufgebaut, die dann in Folge die Selbstwirksamkeit in Gang setzte. Einige der Patienten konnten diesen Effekt langfristig aufrechterhalten.
Verschreibung von Placebos anstelle echter Medikamente?
Unwissentlich Placebos zu verordnen ist ethisch-moralisch überhaupt nicht zu vertreten und es würde auch auf Dauer auch gar nichts nützen. Im Gegenteil: Patienten können ihre Selbstwirksamkeit nur in einer Atmosphäre absoluten Vertrauens und gegenseitigen Einvernehmens mit dem Arzt erlangen. Das Konzept der sogenannten „Open-Placebo“-Verschreibung wird derzeit noch beforscht. Das bedeutet, dass mit dem Patienten die Wirkmechanismen von Placebos besprochen werden, die Verbindung zu der Selbstwirksamkeit aufgezeigt wird und mit dem Patienten überlegt wird, ob er oder sie gegebenenfalls Placebos einsetzen möchte. Dieser offene Weg könnte eventuell für die Schmerzbehandlung interessant werden.
Viel wichtiger ist aber das Konzept der „Open-Medikation“, also den Patienten anzuleiten, die Wirkung der Schmerzmedikamente durch eigenes Zutun zu optimieren. Hierfür ist eine vertrauensvolle Patient-Behandler-Atmosphäre wesentlich. Das ist ein sehr individueller Prozess. Wer zu ihm passt, muss jeder Patient für sich selbst herausfinden. Das Erlernen von Techniken zur Steigerung der Selbstwirksamkeit vermitteln speziell für Schmerzpsychotherapie ausgebildete Psychotherapeuten.
Autorin: Regine Klinger