SCHMERZPSYCHOTHERAPIE BEI KREBSSCHMERZEN
Schmerz ist ein häufiges und oft stark beeinträchtigendes Problem bei Krebspatienten. Schätzungen zufolge erleben 50% bis 90% aller Krebspatienten im Laufe der Erkrankung und auch nach der Heilung Schmerzen, ca. 25% der Patienten mit einer neu diagnostizierten Krebserkrankung und um 60% bis 90% der Patienten mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung.
Die Ursachen von Krebsschmerzen werden meist ausschließlich biologischen Faktoren (krankheitsbedingt, krankheitsassoziiert oder behandlungsbedingt) zugeschrieben. Die Schmerzen werden in der Regel ausschließlich medizinisch behandelt. Patienten und Behandler ziehen die potenziellen Vorteile einer ergänzenden speziellen psychologischen Schmerztherapie selten in Betracht, obgleich die Wirksamkeit der speziellen Schmerzpsychotherapie, vor allem der Einsatz kognitiv-verhaltenstherapeutischer und hypnotherapeutischer Verfahren bei Tumorschmerzen sich als wirksam erwiesen haben.
Menschen mit einer Krebserkrankung erleben die Erkrankung oft als lebensbedrohlich. In dieser Situation empfinden deshalb Betroffenen die Schmerzen, die mit der Tumorerkrankung verbunden sind, als besonders belastend. Nicht nur der Schmerz selbst wird als zermürbend und extrem belastend wahrgenommen, hinzu kommt die Angst vor dem Tumorwachstum und vor einem baldigen Tod. Schmerzen bedeuten in dieser Situation eine ständige Erinnerung an die Krankheit und an die lebensbedrohliche Situation des Betroffenen. Diese Angst kann zu einer verstärkten Schmerzwahrnehmung führen, so dass sich der Betroffene in einem Teufelskreis aus Angst und Schmerz befindet.
Die Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung werden durch die Psyche und soziale Faktoren sowohl negativ (Trauer, Angst, soziale Isolation), als auch positiv (Freude, Geborgenheit, Zuwendung) beeinflusst. Zudem ziehen chronische Schmerzen immer auch psychische Veränderungen nach sich, die zu einer Verstärkung der Schmerzen führen können.
Die Wahrnehmung und Verarbeitung von Schmerzen werden durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst, unter anderem:
- Emotionales Wohlbefinden (z. B. niedergeschlagene, traurige oder beunruhigte Gemütslage)
- Die Persönlichkeit (beispielsweise eher zurückgezogen oder offen und kontaktfreudig)
- Krankheitsverarbeitung (zum Beispiel passiv oder kämpferisch-aktiv oder flexibel)
- Soziales Umfeld (beispielsweise unterstützend oder distanziert oder selbst problembelastet)
Zudem wurden speziell bei Menschen mit einer Krebserkrankung einige Faktoren identifiziert, die Tumorschmerzen verstärken können:
- Angst vor Schmerzen
- Hilflosigkeit und Kontrollverlust gegenüber der Krankheit und den Schmerzen
- Ausgeliefertsein bezüglich therapeutischer Entscheidungen
- Angst vor Nebenwirkungen der Krebs- und Schmerztherapie
- Körperliche Einschränkungen, beispielsweise verminderte Beweglichkeit, Entstellung
- Verlust von Unabhängigkeit mit dem Gefühl, zur Last zu fallen
- Zukunftsangst und konkrete Angst vor dem Tod
- Rückzug, soziale Isolation, Einsamkeit
- Sinnkrisen und Demoralisation
- Familiäre Probleme oder die Unfähigkeit, innerhalb der Familie über die Erkrankung zu sprechen
- Finanzielle Schwierigkeiten, beispielsweise durch einen krankheitsbedingten Arbeitsplatzverlust
- Gestörtes Arzt-Patient-Verhältnis
- Negative Beeinflussung der Selbstwahrnehmung oder des Selbstwertgefühls durch die Tumorerkrankung.
Diese schmerzverstärkenden Faktoren können – ebenso wie der Tumorschmerz selbst – zu allen Zeitpunkten der Krebserkrankung auftreten und sich auch gegenseitig beeinflussen und aufschaukeln.
Psychotherapie Verfahren bei Tumorschmerzen
Eine Psychotherapie bei Tumorschmerzen ist immer dann sinnvoll, wenn ein Krebskranker seelischen Belastungen ausgesetzt ist. Diese können direkt mit der bösartigen Tumorerkrankung in Zusammen-hang stehen, aber auch unabhängig davon auftreten. Das Ausmaß der seelischen Belastung beim einzelnen Patienten hängt wiederum von verschiedenen Einflussfaktoren ab, unter anderem:
- Voranschreiten der Tumorerkrankung
- Krankheits- und Schmerzverarbeitung
- Begleitende Symptome, welche zusätzliche Belastungen darstellen
- Individuelle Bedürfnisse und Wünsche
Sich psychotherapeutische Unterstützung zu holen ist kein Zeichen von Schwäche, „Einbildung“ oder „Verrücktsein“ sondern ein Zeichen dafür, dass der Betroffene sein Leben selbst in die Hand nimmt, um mit einer belastenden Situation besser zurecht zu kommen.
Für die Psychotherapie bei Tumorschmerzen können verschiedene Behandlungsverfahren sinnvoll sein, unter anderem:
- Gesprächspsychotherapie oder tiefenpsychologische Therapie, die zur einer Verbesserung des emotionalen Gleichgewichts und des Selbstwerterlebens beitragen
- Verhaltenstherapeutische Methoden, um zu lernen, selbst einen positiven Einfluss auf ihre Schmerzwahrnehmung auszuüben
- Entspannungstechniken und imaginative ("vorstellende") Verfahren oder die Hypnose
- Kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze, bei denen gezielt die subjektive Wahrnehmung und Bewertung der Tumorschmerzen angegangen und positiv beeinflusst wird
- Gruppentherapien, während derer sich die Betroffenen austauschen und voneinander lernen können
- Familientherapie, sofern es innerhalb der Familie Probleme gibt, die sich negativ auf die Tumor-schmerzen des Krebspatienten auswirken
Spezielle Schmerzpsychotherapie
Interventionen der speziellen Schmerzpsychotherapie zielen auf die Behandlung krankheits- und schmerzbedingter psychischer Beeinträchtigungen und deren Wechselwirkungen mit dem Schmerz-erleben und auf die Vermittlung aktiver Schmerzbewältigungsstrategien ab.
Bestandteile können sein:
- Schmerzbeobachtung
- Informationen zu Schmerzen und Schmerzbehandlung
- Ablenkungsstrategien
- Entspannungstechniken und spezielle Vorstellungsübungen
- Gegensteuernde Aktivitäten
- Einstellungs- und Bewertungsänderung
- Handlungsplanung
Unter Berücksichtigung der Krankheitsverarbeitung und des sozialen Umfeldes können Tumorschmerzpatienten so Selbstwirksamkeit erfahren und eine Verbesserung ihrer Lebensqualität – auch trotz Schmerz – erreichen.
Autorin: Karin Kieseritzky